Ein Film von
Alexander Kluge
45 min 4s, veröffentlicht am 06.03.2011 unter:
https://www.dctp.tv/filme/der-sitz-der-seele
Seite zuletzt aufgerufen am 04.07.2021, 21:20 Uhr
AK = Alexander Kluge
CG = Christine Groß
MC = Margit Carstensen
MW = Martin Wuttke
RP = René Pollesch
SR = Sophie Rois
(Musik >) = Musik Start
(< Musik) = Musik Ende
(?) = unverständlich
Transkript: Simon Baumgart
(Musik >)
Don't be shy, just let your feelings roll on by. Don't wear fear or nobody will know you're there. Just lift your head, and let your feelings out instead. No don't be shy, just let your feelings roll on by, on by, on by, on by, on by, by; on by, on by, on by, on by, by. Don't be shy, just let y
(< Musik)
–
(Musik >)
CG: Das Material, auf das kommt es nicht an, und das ist das Problem. So sehen wir auf die Körper, wir sehen nicht die Körper, sondern die Seelen. Und das produziert einen Trost, der kein Trost ist. Dieses ewig gleiche Subjekt, egal auf welches Material es draufgedruckt ist mit seinen Geschichten und Rahmen(?) produziert immer eine Ähnlichkeit, die eine Gemeinschaft produzieren soll, es aber nicht kann.
MW: Gott, du bist einfach zu schön, immer wenn ich dich ansehe. Du hast mich zurückgewiesen, als ich am geilsten aussah
(< Musik)
–
MW: Man sprach von etwas und nannte etwas ä die vierte Wand und meinte damit, dass sie eigentlich nicht existierte, verstehst du s dann (?), welche Vergleiche ich da heranziehe.
(Publikum lacht)
Etwas, das es nicht gibt, das aber sonderbarerweise Körper werden kann,
(Publikum hustet)
ja wie die Seelendarstellung auf den traditionellen Gemälden, die Tradition ist ja wie immer wesentlich komplizierter als sie auf den ersten Blick erscheint. Das ist ja der Ärger mit der Tradition, die soll ja unkompliziert sein. Aber sie ist ja nicht das, was im Wesentlichen unkompliziert ist. Figuren, die aussehen wie Engel, die aus den Mündern von Menschen streben
(Publikum hustet)
und die Seelen darstellen. Dass die jetzt KÖRPER sind, DAS sollte man jedenfalls ernst nehmen. Dass etwas Körper wird, etwas, was man eigentlich nicht mit einem Körper oder DEM Körper verbindet. Wir sehen diese Seelenengel oder Engelseelen und denken an einen Witz, aber man könnte ä man könnte sie ebensogut großartig ernst nehmen.
–
MC: Aber in unserer Zeit wird nur noch mit der Wand(?)
(Publikum lacht)
gespielt. Sie ist einfach da, nicht mehr wegzudenken.
(Publikum lacht)
Vor 200 Jahren dachte man, man könnte Theater spielen und den Leuten etwas ZEIGEN, aber hier im hier und heute (?) Es wird nichts mehr gezeigt.
(Publikum lacht) Genauso wie man in früheren Zeiten dachte, Schweinshaxen und Zigaretten wären gesund und wie wir heute wissen, ist es nicht so.
–
(Musik >)
Du bist nichts Besonderes. Ich bin nichts Besonderes. Denn ich hab dich nie gelehrt, dass man niemanden belehrt.
(< Musik)
–
(Musik >)
That you're there, you're there, you're there, you're there, there, you're there, you're there, you're there, you're there, there.
(< Musik)
–
RP: Wir haben mal einen Abend gemacht, der hieß Darwin-win. Da ging es darum, dass vielleicht diese Hand gerade uns nicht zuhört und vielleicht ganz unbeteiligt ist, in dem, was wir hier machen und die so streunt und andere Entdeckungen macht.
AK: Ja
RP: Es gibt so eine Montaigne-Geschichte, die darin kulminiert, dass die Hand, die dich nachts kratzt, quasi, ja, also äh, wem gehört die oder äh, weil sie ja, man m man träumt, man schläft und trotzdem macht die das ohne von einem Bewusstsein regiert zu werden. Und das hat uns mal sehr interessiert.
AK: Das steht bei Montaigne, ja?
RP: Ä ä
AK: Der ist ganz modern,
RP: Total.
AK: der ist nämlich ganz modern, der ist wunderbar.
RP: Ja das ist wunderbar.
AK: Bei uns ist das sozusagen so die, äh die Zwischenstelle. Ja?, nich? Die Transitstelle ä zur ganzen Antike. Ja?, nich? Das ist ein bewundernswerter Mann. Ja?
RP: Ja
AK: Nich?
RP: Find ich auch. Wir haben es nicht sehr sehr, ä ä, wir haben, es gibt so eine, ein, ein, das heißt glaub ich „Die Freundschaft“, wo es dieses Szenario gibt, dass man, äh, ä die Anwesenheit eines Sterbenden. Dass man da ist, wenn ein Freund stirbt und diese Erfahrungen so ä so aufgeschrieben werden. Aber es gibt eine Geschichte, wo er so en ä ä Unfall beschreibt, ich hab jetzt vergessen, ob, er hat den nicht erlebt oder es gibt einen Freund, der, von dem er erzählt hat, also ein Kutschunfall. Oder ein Unfall mit einem Pferd. Das Pferd fällt wohl auf den äh äh
AK: Drauf
RP: Auf den drauf, genau. Und er macht so die Erfahrung, dass die ähm, dass die Art wie der Körper langsam wieder zu sich kommt und sich aufrappelt mit äh äh äh, damit zusammengeht, wie das Bewusstsein langsam zu sich kommt und sich wieder aufrappelt. Also es macht so eine, es gibt jetzt nicht so ein völlig intaktes Bewusstsein in einem total derangierten Körper, sondern es gibt da eine Ähnlichkeit,
AK: Ja
RP: die für unseren Abend auch eine Rolle spielt,
AK: Ja, ja.
RP: weil es eben diese Vorstellung, dass da immer, also bei einer äh einer Sterbenden, die jetzt zum Beispiel nur noch ein Drittel von dem wiegt, was sie noch vor einem halben Jahr gewogen hat, man immer noch diese völlig intakte Seele vermutet, die jetzt leider in diesem ä hinfälligen Körper gefangen ist.
AK: Ah ja
RP: Und diese, dieses Bild mit dem man belästigt ist, also diese Vorstellung mit der man belästigt ist und nicht mehr diesen Körper sehen kann und ihn ihn ihn eben auch als eine andere Figur liest. Ja? Sie war vielleicht mal meine Mutter, ja? Und wenn ich jetzt sage, sie ist nicht mehr meine Mutter, meint das nicht, ach meine Mutter ist jetzt irgendwie, die ist sowieso nicht mehr da, bei sich, weil sie unter Morphium steht und das da ist nicht meine
Mutter. Äh, ähm, ich rede jetzt äh von
AK: Nein, so wie Sie gestern; wie das Stück geht, also Körper im Gefängnis der Seele,
RP: Ja
AK: Seele im Gefängnis des Körpers, ja, nich?
RP: Ja.
AK: Nich? Und das sagen Sie ja: das hab ich schon mal gehört, ja?, nich?, das zerlegen wir jetzt. Ja? Das tun Sie ja wirklich, mit wunderschöner Musik.
RP: Äjajajaja. Ah gestern Abend fanden Sie die Musik gut?
AK: Großartig!
RP: Ah ja!
AK: Großartig! Großartig. Das ist das, also, ä an sich sehe ich da hier das vierte Opernhaus, ja, nich?
RP: Äjajaja
AK: Und nur so kann man wirklich neue Oper machen. Ja?
RP: Jajajajaja
AK: Sie ist sonst zu anstrengend, ja?
RP: Ja ja ja ja ja
AK: Und jetzt, äh, aber die, die ähm, hier, sagen wir mal was Sie hier einen ganzen Abend diskutiert haben.
RP: Ja.
AK: Was die so sagen ist ja etwas sehr interessantes, also dass, also bei Marx heißt das subjektiv-objektive Verhältnis.
RP: Ja.
AK: Kann man sich auch nicht (?) vorstellen, aber er meint es ganz wirklich. Also die Liebe ist nicht mehr in mir und nicht im anderen. Das sind lauter Missverständnisse. Und dazwischen gibt es jetzt so eine Art Plattform, so ein Körbchen, ja? Wo wir was hinsammeln. Und plötzlich nach 19 Jahren merken wir erstaunt: wir lieben uns. Ja?
RP: Ja.
AK: Die ganze Zeit fahren(?) wir nebeneinander her und werden von der Umwelt betrachtet als ein gutes Paar, deswegen haben wir auch leider geheiratet, ja?
RP: Ja.
AK: Aber jetzt plötzlich merken wir: wir lieben uns, wir sind unzertrennlich, wir sind zusammengewachsen. So was wäre Philemon und Baucis, das würd ich lieben die Geschichte.
RP: Jajajaja
AK: Habs auch beobachtet schon. Ja?
RP: Ich kenn sie jetzt äh, ich hab sie nicht erfahren. Mich erinnert ne ne natürlich so so ne
AK: Sie sind ja noch jung! (lacht)
RP: Hä?
AK: Sie sind ja noch jung!
RP: Ja, ja so jung jetzt auch nicht mehr. Äh äh es gibt n äh es gibt Nancy, mit dem wir uns in dem Abend auch beschäftigt haben, hat in so einem Buch, das „Singulär Plural“ heißt, ein Hölderlinzitat vorangestellt. Ich weiß nicht, ob ich da, ob ich das richtig zitieren kann: Gut ist es, an andere sich zu halten, denn keiner trägt das Leben allein. Ich weiß gar nicht woher das kommt, ein paar Schauspieler in Frankfurt wussten, aus welchem Gedicht das kommt von von Hölderlin und für mich ist das auch äh, das was Sie gerade erzählt haben oder zum Beispiel auch ein Humor auf einer Bühne, ja?, oder ein Witz oder so; dass ein Missverständnis oft ist, dass ein Protagonist jetzt einen Witz erzeugen könnte und der andere macht dann noch einen Witz und das ist meistens überhaupt nicht witzig, weil der Witz entsteht ZWISCHEN denen.
AK: Zwischen denen
RP: Ja, man muss auf den warten. Diese Geschichte, die Sie gerade erzählt haben, man muss tatsächlich auf den Witz auch einer Aufführung warten. Den kann keiner produzieren, weil dann ist es nicht komisch. Und das gilt eben, das gilt aber auch für dieses Hölderlinzitat irgendwie, hier ist etwas, hier außen ist etwas, was vielleicht ne ne bessere Chance wäre zu kommunizieren, als hier ä, diese Geschichte, die ich in meinem einsamen Hirn rumschwimmen habe in irgendeine Sprache zu verwandeln, äh, darüber zu schicken, sodass es in Ihrem Hirn irgendwas, äh äh, damit eingefangen wird, was uns verbindet. Und diese diese Verbindung, die würde ich, äh, ich glaube da gelingt Kommunikation nicht. Die muss auf eine andere Art gelingen. Die ist nicht das hier, was hier ist, darüber zu schicken und umgekehrt, ne? Das ist so auch so ne herrschende Vorstellung auch
AK: Das ist ein komplizierter Funkweg, ja? Also, ich habe letzte Woche mit einem Astrophysiker gesprochen, der sagt pro Galaxie gibt es 4000 intelligente Zivilisationen. Also sind im Andromedanebel mit Sicherheit 4000 Zivilisationen, die auf uns warten.
RP: Aha aha
AK: Aber er sagt, dass das 2 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist, ja?, geht das Telefonieren so schwer, ja?
RP: (lacht)
AK: Die Nachrichten. Muss man ne Million warten auf eine Antwort. Und deswegen äh ist das NOCH nicht. Kommen tun die aber mit Gewissheit. Ja? Und wenn sie kommen, sind sie älter als wir, und wer älter als wir ist, muss friedlicher sein, sagt er. Denn sonst hätten sie sich schon zerstört. Das find ich irgendwie eine schöne Linie. Ja?
RP: Ja, sehr gut.
AK: Und plötzlich hab ich; weiß ich, warum das unverbunden ist, ja?
RP: Ja.
AK: Und wir nicht anfangen sollen also mit dem Sternenhimmel sozusagen moralische Gesetze runterzuziehen.
RP: Jaja
AK: Ja? nich? Und gleichzeitig: hoffnungsvoll ist es! Da sind welche.
RP: Na es gibt natürlich auch auf dem Planeten, auf dem wir sind auch unendliche Zivilisationen, die von uns nicht anerkannt werden. Ja? Vielleicht also wenn die menschliche Moral nicht mehr funktioniert, vielleicht gibt es eine bei den Käfern,
AK: Die Bakterien!
RP: die aber nicht senden können
AK: Reiches Reich! eine hohe Intelligenz der Bakterien.
RP: Ja ja, Schleimpilze, eines der interessantesten Organismen
AK: Flechten!
RP: Äh ja ja
AK: So ist es also, intersubjektiv, ja? nich? Und äh der Immanuel Kant sagt, wenn ich mir Mühe gebe, ja?, und selbstvergessen arbeite; ich vergesse die ganze Umgebung und habe eine Uhr gemacht, dann bin ich bei mir selbst. Ja? Das ist subjektiv, sagt er. Während wenn ich mich fühle, ja?, und hier bin ich: hab ich Gicht und das ist gebrechlich und heute bin ich nicht so drauf wie gestern - dann bin ich Objekt
RP: Ja ja ja
AK: Das ist objektiv. Das ist weinerlich und objektiv.
RP: Ja. Weinerlich sagten Sie?
AK: Ja. Sagt er.
RP: Ja, das ist das Drama, also da ist so ein Drama versteckt in dieser Subjekt-Objekt-Geschichte, die Sie gerade erzählt haben. Man könnte ja auch, also das, was wir an dem Abend versuchen, also, zu kratzen. Ja?
AK: Ja!
RP: Äh dass das, warum muss das immer diese Bewegung oder diese Empfindung auf was Inneres fallen. Kann das nicht draußen bleiben?
AK: Der Wuttke ist ja richtig empört! Ja?
(lacht)
RP: Ja, oder er äh; Empörung ist für mich so äh äh äh immer so ein äh Hasswort gewesen tatsächlich,
AK: Nein
RP: das wird jetzt ein, Stéphane Hessel von Hessel oder so, der dieses Pamphlet da veröffentlicht hat,
AK: Ja, jaja, so 19 Seiten, ja, sollen uns empören, ja.
RP: neue moralische Empörung
AK: Äh ja, ich; das ist da in Ihrem Stück gestern nicht gewesen! Das kann ich bezeugen.
RP: Ja, weil da hört das Denken auf.
AK: Ja.
RP: Es gibt auch einen Kritiker von diesem von Hessel, der auch genau so einen äh ähm äh ich hab den Begriff jetzt vergessen, Psychiater ist er oder es heißt entweder Neuropsychiater, aber das Wort gibt es nicht, oder, keine Ahnung,
AK: Ja, jaja
RP: äh, Neopsychiater scheints auch nicht zu geben, der von Le monde so gefragt wurde, nach der Lektüre von diesem äh äh von Hessel, äh, und der sagte eben, ja das Problem ist, Empörung ist schön und gut und so, aber da hört meistens das Denken auf.
AK: Ja!
RP: Und das äh, auch bei Proben, wenn ich zum Beispiel äh versuche äh einen Gedanken in Griff zu kriegen. Und es mischt sich so eine moralische Empörung a ein, dann hört, merk ich wirklich mein, wie der Gedanke aufhört, wie der weggeht, ja?, weil das kann jeder produzieren, man kann sich über alles empören. Da ist auch meine Frage nicht nach Wahrheitsgehalt.
AK: Da ist das Theater möglicherweise der falsche Ort. Ja?
RP: Für die Empörung?
AK: Ja.
RP: Das Theater wird aber oft eingeklagt als Ort der Empörung! Also als der Ort, wo sich Leute noch empören sollen, aber ich finde das ist keine gute Idee.
AK: Aber Heiner Müller würde sagen, es ist ein Ort, wo stattliche Beg Beerdigungen stattfinden. Also sozusagen die ungeübte oder die unvollendete Empörung draußen, ja?, wird dann im Theater so lange betrauert, bis sie weg ist.
RP: Jajajajaja
AK: Und dann kann was neues hin.
RP: Jajajajaja
AK: Da käme jetzt Schleef oder Sie.
RP: Stattliche Beerdigung?
AK: Ja, genau.
RP: Ich hab jetzt auch schon, das ist jetzt bisschen länger her, die Interviews zwischen Ihnen und und Müller natürlich verschlungen, die nach seinem Tode aber, oder waren sie schon vor seinem Tode?
AK: Äh die haben wir immer (lacht) während seines Lebens vorgeführt, die wurden regelmäßig vorgeführt im Fernsehen.
RP: Nee, im FERNSEHEN, ich hab sie gelesen! Ich meine, im Fernsehen hab ich sie auch gesehen, aber dann auch gelesen. Und das war glaub ich ä erst nach seinem Tod.
AK: Das ist aber auch keine Dialoge, die würden Ihren Prinzipien durchaus entsprechen: Ich frage den was, der antwortet fast nie darauf, ja?,
RP: Jaja
AK: eigentlich überhaupt nicht. Und nach einer Stunde kommt er darauf zurück,
RP: Ja
AK: aber mit einer Variante! Ja?, das heißt das ist keine Kommunikation, das sind keine Dialoge. Ja? Das ist das Vorteilhafte daran. Ja?
RP: Und das ist auch keine Unhöflichkeit
AK: Neinnein gar nicht.
RP: oder ein Sich-drücken
AK: Neinnein, neinnein. Er sagt das sind Echolote, sagen wir mal so, eher Messungen. Er sagt schon was ihn interessiert. Ja?
RP: Jaja
AK: Nich?
RP: Jaja
AK: Aber jetzt noch mal gestern dieser äh Mann in der Uniform, ja, nich?, unser Wuttke, der jetzt sozusagen hier doch LEIDENSCHAFTLICH, doch in einer Sprache, die Friedrich Schiller gut anstünde, ja?, nich?, hier plädiert dafür, dass endlich die Einsicht kommt
RP: Ja ja ja ja, der Paradigmenwechsel
AK: Der Paradigmenwechsel!
RP: Ja
AK: Nich? Der Körper IST die Seele! Das Äußere IST das Innere!
RP: Ja ja ja. Und das trifft auch bei einer Probe, ist das äh äh, wenns äh darum geht das irgendwie ist der Text gerade nicht so da oder so, wurde dann auch klar, dass Martin Wuttke: das IST der Inhalt. Es wurde kein Inhalt in den reingefüllt, kein Text
AK: Vorne, vor dem Theater steht: Pollesch.
RP: Ja ja ja ja ja das ist
AK: Das ist der Inhalt. Sie schreiben das ja selbst.
RP: Äh ne, dass da immer Pollesch steht ist eine Sparmaßnahme,
AK: Ach so
RP: Die die äh äh. Äh eigentlich haben wir das mal eingeführt bei allen Hinterbühnen-programmen oder so, das war dann zu teuer immer wieder einen neuen Titel, dass sie jetzt aber bei jeder neuen Produktion Pollesch äh schreiben, arbeitet in die Hände der, die sowieso behaupten wir machen immer das gleiche, was wir NICHT tun
AK: Nicht tun
RP: Und äh ähm genau, die Textproduktion ist tatsächlich bei uns so, dass ähäh äh Martin; in Martin Wuttke wird nicht ein Text reingeführt, den ich jetzt geschrieben habe, sondern die Texte, äh, wie die entstehen auf einer Probe, was man glaubt wirklich brauchen zu müssen und zwar als Schauspieler, um sich da zu bewegen; es gibt bei den Texten, die Sie da gestern gehört haben nicht um Dinge, die ich unbedingt hören will, Argumentationen, die ich unbedingt ä so betreiben will, sondern es geht um ein Futter für einen Schauspieler. Das Futter besteht jetzt nicht in so abstrakten Spielmöglichkeiten, sondern in ner Auseinandersetzung, in die sich Martin wirklich begeben will, die ihm äh ähm äh, die ihm wichtig ist. Martin Wuttke würde nicht auf die Bühne, äh äh; er braucht einen Grund, da oben zu stehen. Und der Grund muss auch ein Motor sein, den, den er, der ihn, ja, den ganzen Abend bewegt. Ja? Und zwar nicht nur jetzt hier im Kopf bewegt, sondern über die Bühne. Ja? Ganz konkret. Ja? Und diese, diese Verbindung von ähm äh einer Liebesgeschichte und sehr konkreten fast alltäglichen Texten und den Theorien von Nancy, ja?, könnte man jetzt als Gewebe betrachten, es sind aber eigentlich sind es immer die, das was Martin benötigt in dem Moment; das wird ja auch immer; der Abend; wir wir arbeiten wirklich sehr sorgfältig. Ja? Also da wird nicht einfach so was laufengelassen, da äh (?) irgendwas anderes sein, sondern die Sorgfalt besteht darin, sicherzustellen, dass Martin bewegt wird mit dem äh äh Text. Ja? Und äh, nicht dass er ihn bewegen muss, dass er ihn dauernd mit Blut versorgen muss, weil er blutleer ist, sondern äh ja? Also das Benzin ist die Theorie. Ja? In dem Fall Nancy. Ja? Und unsere Entscheidung, wie wir diese Theorie, weil wir ja keine Proseminare veranstalten wollen, in Theater verwandeln. Also ä immer wieder das HIER beziehen: auf diese Körper, die auch im Theater nicht gesehen werden. Die kommen nicht vor. Ja? Da muss immer mal, scheinbar muss man immer was zur Seite schieben, ja?, den Körper von Hedda Gabler, aber auch den Körper von von dem Schauspieler,
AK: Haja, ah ja
RP: um irgendwas dahinter zu sehen. Und Martin beharrt auf seinem Körper, als Schauspieler, er sagt ja das ist hier: das ist der Inhalt!
AK: Ja!
RP: Das kann nicht nur vom KBB äh ähäh manövriert werden, weißt du, also: da spielst du jetzt den (?), da spielst du das, da machst du jetzt das, sondern DAS ist der Text
AK: Das ist der Text! Und die vierte Wand, was ist das?
RP: Die vierte Wand
AK: Ja
RP: Die vierte Wand äh äh, Bert Neumann, der unser Bühnenbild gemacht hat, ist der erste Autor unserer Abende. Also es gibt nicht die
AK: Er macht das Haus, sozusagen, die Rennstrecke.
RP: Exakt. Und das ist natürlich auch nicht so vorhanden in den Köpfen von Leuten, die jetzt sich äh, die sich nicht unbedingt mit Theater beschäftigen, aber die denken natürlich da gibt es einen Regisseur und einen Autor, die haben einen Text geschrieben da steht was mit der vierten Wand und der Bühnenbildner, der baut das.
AK: Nee, so nicht, nein.
RP: Bei uns ist es umgekehrt
AK: Umgekehrt
RP: Bert hat die vierte Wand gebaut. Ja?
AK: Ja.
RP: Ohne, dass wir; es gibt Projekte, wo wir vorher über bestimmte Dinge reden, bei „Stadt als Beute“ war das so vor 10 Jahren, da hatte ich ihm so meine Lektüre gezeigt, was ich, womit ich mich gerade beschäftige und er hat darauf reagiert. Jetzt war das nicht so, wir haben jetzt nicht Gespräche gehabt über die vierte Wand. Ihn hat einfach interessiert diese, diese äh Volks Volksbühne, also den den Zuschauerraum, die Verkleidung des Zuschauerraums fortzusetzen über die Stelle, wo der eiserne Vorhang ist. Also einfach nen geschlossenen Raum zu bauen. Ja? Und ähm er hat auch immer das Wort von der vierten Wand äh äh bei unserer Bauprobe, hat immer davon gesprochen. Er weiß aber auch äh; er baut jetzt den Raum und sagt nicht „Die vierte Wand“, damit ich jetzt ein Stück schreibe über die vierte Wand, sondern das wär auch zu äh äh, eigentlich würde das nicht funktionieren, weil das zu gedoppelt ist, weil dann jeder nur denkt, ach da hat jemand ein Stück geschrieben über die vierte Wand und der Bühnenbildner hat ein Dings gebaut. Äh. Wir kamen dann tatsächlich äh äh auf die vierte Wand als Thema über Umwege. Wir haben uns wirklich nur mit Körper Seele beschäftigt, ja? Und plötzlich haben wir auf der Probebühne dieses Ding mal eingefasst(?). Und äh äh merkten, dass es uns eine Spielmöglichkeit bietet, also durch die zwei Öffnungen, die wir irgendwann reingehauen haben.
AK: Das das ist ja nun wirklich wahr, also, ja, und das ist ja fast mehr Gespräch. Also, also die sprechen ihre Monologe, aber das Gesprächsförmige sind diese Bewegungen
RP: Ja! Ja!
AK: In diesem Hintereinanderher-rennen
RP: Martin sagt immer: Die suchen sich.
AK: Wie Kinder. Es ist wirklich, Kinder spielen so.
RP: Ja!
AK: Nich?
RP: Und man muss auch jemanden suchen, also äh äh, um
AK: Ja, man muss auch jemanden suchen, genau
RP: um an jemanden anzuheften.
AK: Ja genau!
–
MW: Wie geht das mit der vierten Wand geht mir einfach nicht aus dem Kopf! Ja gut, wir haben auch vor 200 Jahren mit einer vierten Wand gespielt, aber da war sie noch nicht DA!
(Publikum lacht) Verstehen Sie? Verstehst du? Versteht ihr?
MC: Nein nein, ich versteh es nicht, mal sagst du, etwas ist da, was vorher nicht da war und umgekehrt, das macht mich doch ganz verrissen.
(Publikum lacht)
MW: Miss Petersen, was haben Sie eigentlich studiert?
Chor: Kosmetik, Sexualtechnik und Poesie.
CG: Miss Petersen benimmt sich öfters so unmöglich.
MW: Ja genau wie die vierte Wand! Die benimmt sich auch unmöglich, Liebling. Du bist ein großes Problem, wie soll ich mit dir UMGEHEN? Wir können nicht leben, wenn du das nicht VERSTEHST. Äh, wenn wir das nicht verstehen. Äh ä ä, es kann keine Gemeinschaft geben, wenn wir das nicht verstehen! Dein Lustkörper und mein Schmerzkörper - (Publikum lacht)
was haben wir eigentlich gemeinsam, mein Schatz? Sie, sie lassen sich nicht mehr unter den Bedingungen eines funktionierenden AKTIVEN verhältnismäßigen Lebens sehen, geschweige denn SPÜREN. Du, du richtest dich an gar keine Welt mehr, (?), noch an jemand ANDEREN. Nein. Es gibt keinen anderen im herherkömmlichen Sinne. Dein Lustkörper ist ist äh Verschmelzung gibt es nicht mehr, dein Lustkörper ä ist nur auf sich selbst bezogen, genauso wie meiner. Mein Schmerzkörper, was was mein Schmerzkörper verweigert, ist dasselbe ä, was dein Lustkörper braucht: einen neu zusammengesetzten Körper. Sich zersetzende über zusammengesetzte Körper, verstehst du? Sich selbst FREMD werden.
–
MC: Ja,
(Publikum lacht)
ich weiß das alles! Ich weiß das alles. (Publikum lacht)
Dass du mich nie angesehen hättest auf der Straße. Dass wir, oder ich über meine Verhältnisse gelebt habe, ja!, ja, ich weiß das. Aber, es gab auch einen Traum. Und für den war nur ich zuständig. Den hab ich dir auch erfüllt, deinen Traum!
–
Chor: Das, was du hier siehst, IST die Seele. Das wird oft verkannt, dass wir gerade vor den Seelen sitzen. Dass die sich nicht hinter etwas VER-BERGEN, was weggeschoben werden müsste oder zerrissen oder weggebracht: DER KÖRPER. Nein! Das hier ist es und das will endlich geliebt werden.
MW: Ä ja, genau, das hier ist es, die Seele, die zappelt in keinem Gefängnis. Außer vielleicht in dem Universum, aber ganz bestimmt nicht IN DEM Körper. Die brauchen auch keinen Gnadenstoß, die Körper, wenn sie nicht mehr können, damit die Seele freikommt. (Publikum lacht)
Das ist nicht das Problem.
–
RP: Also es ist ja jetzt nicht unser Plan zum Beispiel ne mangelnde Kontaktfähigkeit
AK: Nein!
RP: oder Kommunikations-fähigkeit auf, repräsentativ auf die Bühne zu stellen, sondern die Erfahrung ist ja, äh, also ich beschäftige mich mit Nancy, äh äh, ich bin ja kein Philosoph, und ich bin jetzt; natürlich könnte man sagen ich bin ein Theatermann, der ab und zu einen Theaterabend ausspucken ä ä muss, ja?, aber ich lese Nancy, weil da, weil ich da etwas finde, was mit dem umgeht, was ich erlebe tagtäglich, was meine Probleme auch sind.
AK: JA!
RP: Darum komm ich äh an eine bestimmte Figur nicht ran mit dem üblichen äh Seelengequatsche. Darum weiß ich, da gibt’s nicht das da drin, was uns so vorgeschrieben wird als Subjektivität. Das ist vielleicht, der ist vielleicht krank, der ist vielleicht ein anderer, der hat da drin gar nichts! Ja? Wie komm ich mit so jemandem in Kontakt? Ja?
AK: Ja.
RP: Wenn ich denn will.
AK: Ja.
RP: Und das sind unsere Fragen, das sind ä Fragen von äh äh, das sind ja nicht nur meine, ich glaub diese Fragen haben mehrere Leute, vor allem die, die dann zu uns kommen. Ä? Oder die gehört haben, dass wir uns damit beschäftigen, mit dem was uns so umtreibt. Und das finden wir in der Theorie. Also das ist keine Serviceleistung, jetzt Nancy ins Theater zu bringen,
AK: Nein
RP: sondern ä ähm, wir können mit den Theorien äh also ich äm; Donna Harraway, ne ne ähm von mir sehr verehrte äh ähm Philosophin und Biologin beschreibt ihre Theorie als SEHHILFE. Ja? Und so s äh so benutz ich sie auch, ja?
AK: Ja
RP: ich benutz quasi ihre ihre Theorien, ihre Texte als Sehhilfe
AK: Ja
RP: Und ich weiß, diese Brille, die sie mir liefert, die ist an einer sehr sehr starken Feder, ja?, die die Normalität ä darstellt, ja die will immer, die Normalität will immer, dass ich SO kucke. Also das hier ist die Sehhilfe von Harraway, ja? Die da vorzuziehen ist wahnsinnig schwierig,
AK: Jaja!
RP: braucht wahnsinnige Energie.
AK: Und es ist eine Brechung drin!
RP: H?
AK: Ja? Nich?
RP: H?
AK: Also der Cousin, dessen was schon gesagt worden ist, kann v, ist vielleicht fortpflanzungsfähig, ja?,
RP: Ja, ja
AK: nich? Aber in der gleichen Linie da wird’s irgendwann mal sehr langweilig.
RP: Ja, ja
AK: Sechste äh, und wenn man immer weiß, die sechste Generation von Buddenbrook ist der Niedergang und so, das will man ja gar nicht mehr hören, ja?
RP: Jajajajaja
AK: Stimmt ja auch nicht unbedingt, ja?, aber so gehen die Gesch, normale Geschichten.
RP: Ja
AK: Und wenn Sie dann einmal in der Generation springen,
RP: Jajajaja
AK: ja?, also, w, dann ist, also der Cousin des Sohns von Mozart und dessen Nachkommen könnten einen Komponisten bringen,
RP: Ja
AK: während der Sohn von Goethe, ja?,
RP: Ja
AK: ist wohl kein Dichter geworden.
RP: Jaja
AK: Und die haben sich ganz schön vermehrt!
RP: Heute stand in der Zeitung Bohlen kriegt sein fünftes Kind ä das ist natürlich schockierend,
AK: Ja
RP: man denkt auch gleich diese armen Kinder.
AK: Ja, aber die können nicht so (?) machen.
RP: Die können nicht?
AK: So (?),
RP: Nee nee a a ja, die können gar nichts machen, ä im Grunde.
AK: vererbt sich das nicht, aber es verliert sich, also das heißt also plötzlich ist da eine Cousine oder ist plötzlich ein Missverständnis oder ein Findelkind, ja?,
RP: Ja ja
AK: kommt mit rein, und ä: rettet die ganze Familie. Das ist doch wunderschön, wenn da also irgendein Fehlsprung, nicht?, eine Geniefamilie fortsetzt. Also der Neffe Nietzsches,
RP: (?)
AK: ja, nich?
RP: Ja ä ä
AK: Nich? Also ein untergeschobenes Kind bei der Schwester von Nietzsche, ja, nich? Der wird Nazi und dessen Enkelkinder in Amerika, die haben in Chicago die neue Oper gemacht. Da gehen wir doch hin, ja?, da können wir doch sagen: da wollen wir doch kooperieren, ja?
RP: (lacht)
AK: Und so geht die Evolution glaub ich
RP: Jaa
AK: Immer ein Sprung über ein Missverständnis
RP: Aber ich glaube die Evolution zielt eben nicht auf Genies.
AK: Nein,
RP: Das finde ich so gut an, also
AK: gar nichts, die zielt auf gar nichts.
RP: Es gibt einen Historiker Philipp Sarasin, ja?, ä ä, Leider heißt der genauso wie dieser ä ä Theobald, oder wie?
AK: Ja
RP: Und äh der, er versuchte äh äh, äh äh äm Darwin durch die Brille von Foucault zu lesen.
AK: Ah ja.
RP: Und äh ähm
AK: Wie geht das?
RP: Ähm, das geht, äh
AK: Dann kriegt er plötzlich einen Sinn
RP: Na für mich ist; also Darwinismus ist ja sehr flott zum Sozialdarwinismus geworden,
AK: Ja!
RP: um ihn überhaupt als eine Philosophie unterzubringen.
AK: Genau, aber das gibt es bei Darwin nicht
RP: Bei Darwin gibt es das nicht.
AK: und (?) hat gar keinen Zweck, ja?, also kann sich ein Elefant Mühe geben klein zu werden - er wird es nicht.
RP: Ja ja ja ja ja. Ja ja
AK: Und ich also, äh Mühe geben,
RP: Und das Recht des Stärkeren gibt es vielleicht auch nicht!
AK: Nein.
RP: Und die Evolution ist vielleicht auch kein weiteres Wort für Fortschritt,
AK: Nein nein nein!
RP: sondern sie ist w(?)
AK: Unsere Vorfahren sitzen im Schatten.
RP: Wer sitzt im Schatten?
AK: Unsere Vorfahren, ja?
RP: Ja
AK: Klein, mit Hut. Ja? Baumkletterer, ja? Und da sind die riesigen und gefährlichen Saurier, ja?
RP: Ja, ja
AK: Und die haben Rieseneier. Aber die sind drauf angewiesen, dass die Sonne sie wärmt, ja?
RP: Ja ja ja
AK: Da gehen die dann nachts ran, wie an einer Apotheke. Ja? Deswegen werden wir War Warmblüter, aber sehr klein. Ja?
RP: Aha
AK: Sehr klein, sehr hässlich, im Einzelkampf völlig unterlegen. Ja? Und insgesamt plötzlich durch Kooperation stark
RP: Ich glaube aber auch nicht, die Genealogien, die Sie da entworfen haben, ich glaube auch nicht an diese immer wieder auftauchenden Leuchttürme oder äh so, sondern äh ich hab tatsächlich, also wenn, ich habe mich äh äh, ich kam aus der Beschäftigung mit Philipp Sarasin, äh äh, äh äh Foucault und äh äh Darwin äh war ich am Sterbebett meiner Mutter, ja?, und es ist jetzt nicht so, dass ich normalerweise mit dem, was mich gerade so umtreibt im Theater jetzt auf mein Privatleben losgehe, nur ich fand, tatsächlich, auf dem Weg dahin, zu meiner Mutter, war ich natürlich vier Stunden lang mit diesem Drama beschäftigt, das mich seit meiner Kindheit verfolgt, ja?, dieses Dramas des Todes der eigenen Mutter, ja?, und die ganze Tragödie trägt man mit sich rum und ich betrete dieses Zimmer und die Tragödie ist wie weg, weil ein völlig anderes Wesen äh äh da liegt, ja?, äh, dass man mir auch nicht erzählt hat, also man hat mir immer nur Szenarien angeboten, bis hin zu einem zu einem Film, den ich auch als Kind gesehen habe, äh „Imitation of Life“, das ist dieser äh Douglas Douglas Sirk Film, wo am Ende äh äh quasi die Mutter gestorben ist und äh äh die Tochter, die sie verleugnet hat, klebt dann an ihrem Sarg und heult und ich als Zuschauer heule auch, das ist das Melodram. Ich hab kein Melodram erlebt. Ja? Ich hab ein anderes Wesen gesehen, ich hab auch quasi bis zu dem Punkt, wo sie wirklich nur noch ein Drittel von dem äh äh ähm war, was meine Mutter äh war, ich sag dir jetzt auch nicht, das, das ist nicht meine Mutter, ja? Es war ein anderer Freund. Es war ein anderer äh äh, ich konnte, ich konnte, ich hab zum Beispiel,
AK: Man müsste sie neu kennenlernen. Das könnte,
RP: Ja!! Ja!
AK: das könnte man eventuell, ja?
RP: Ja! Ja! Es gibt Gedächtnisforscher, die sowieso; Gedächtnisforscher, die sich jahrelang äh äh äh in also über das Gedächtnis Gedanken gemacht haben und dann äh äh äh, in der Süddeutschen hab ich das gelesen, und die sagen, äh, ja, wir denken das Gedächtnis ist eine Festplatte, da immer wird MEHR draufgeschrieben.
AK: Nein
RP: Aber der hat rausgefunden, es ist von einem Tag zum anderen etwas anderes. Und das sind auch unsere Körper, wir, ja?, weißt du, wir sind total amorphe Wesen, die dauernd erzählen, dass sie dasselbe sind. Ich muss meiner Mutter nicht erzählen, dass sie meine Mutter ist, um an die wahre Träne heranzukommen. Ja? Das tut diesen beiden Organismen, die voreinander sitzen, äh, das ist die falsche Geschichte. Und ich hatte, äh, das Gefühl, dass mir Darwin und Foucault und Sarasin ne ne äh, nicht die richtige Geschichte liefern, aber einen Zugang zu etwas, was da wirklich stattfindet. Und auch jetzt Maurice Blauchot äh Blanchot und auch Nancy. Ja? Die kümmern sich tatsächlich um diesen Moment äh äh, äh, wo man äh äh anwesend ist bei dem, der sich gerade verabschiedet und trotzdem noch da ist. Ja? Also die Anwesenheit der Sterbenden ist für sie ein äh äh Paradigma, das aber auch auf eine andere Kommunikation der, der Wesen untereinander äh führen soll, vielleicht eine andere Gemeinschaft hervorbringen kann, als immer nur die von Verlust und Vergänglichkeit und äh, äh, äh; weißt du, da sitzt eine Frau in der Talkshow, die jetzt irgendwie darüber redet, dass sie jetzt irgendwie in die Schweiz fährt irgendwie diesen diesen äh äh diesen Gifttrunk trinkt bei Dignitas oder wie die heißen und man sieht einen Körper und denkt, ja okay, die Frau kann wirklich nicht mehr oder so. Und da drin ist ja noch etwas, was sich für jung hält und was noch, ja? Und das äh äh das find ich immer so das find ich so ungerecht. Weißt du? Zu denken, das ist jetzt der knittrige Geldschein, der Wert ist zwar immer noch äh äh 100 Euro, aber der Geldschein sieht beschissen aus, jetzt müssen wir den umtauschen. Ja? Äh, das finde ich äh ähähähähäh, mogelt sich um das herum, was da ist.
AK: Das ist ja eine ganze Fülle, ein ganzer Korb von Geschichten. Also, zum Beispiel die Geschichte eines Geldscheins, der den ganzen zweiten Weltkrieg durchlebt, ja?,
RP: Ja
AK: und 45, oder 48 nicht mehr so viel wert ist, ja?,
RP: Ja ja ja
AK: wie er mal war. Das ist die eine Seite. Und die andere Seite, wenn da so ein Wirtschaftsführer, ja?, der äh auch schon mal Bestechungsgelder an einen äh an eine Partei gegeben hat, ja?, aber sehr ein Charakter ist, und der hat nie jemanden verraten.
RP: Ja
AK: Und sein Freund ähm äh äh d der von entführt war, ja?; da ist er mit einem Koffer hinterhergereist und wollte ihn auslösen, ja?,
RP: Ja, ja
AK: den Schleyer, ja?
RP: Ja, ja
AK: Und jetzt fährt er mit seiner gleichaltrigen Frau in die Schweiz und nimmt diesen Trunk zu sich, ja? Und das hat Würde! Ja?
RP: Ja ja
AK: Nich? Und da lernt man den neu kennen. Jetzt kommt er aus der Zeitung wieder als Mensch zurück, ja?
RP: Jajajajaja
AK: Vorher war er in der Zeitung also das Bild dafür, wie Politiker äh Politiker gelegentlich beeinflusst werden, ja?, also ein bisschen ungeschickt gemacht. Mir hat, mich hat das sehr bewegt sage ich Ihnen. Ich bin nicht mit dem verwandt, ja? Nich? Aber trotzdem: hat mich bewegt, ja?, dass die das zu zweit so einig, einvernehmlich machen.
RP: Aha aha
AK: Und da in relativ anonymer Adresse da hinfahren, ja?
RP: Jajajajaja
AK: Nich? Und so, und so ne Geschichten, die finde ich, die kriegt man nur, wenn man die Theorie so liebt wie Sie es machen, ja?
RP: Jaja
AK: Weil die Theorie ist ja immer eine Fülle von Tönen.
RP: Ja. Ja.
AK: Die ist ja kein Einzelfall
RP: Ja ja ja ja
AK: Ja, nich? Also wenn
RP: Aber auch kein äh äh äh, nicht äh nicht äh ein Fall, der sich ausgibt, einer von uns allen zu sein!
AK: Es ist sogar präzise!
RP: Ja!
AK: Es ist richtig präzise.
RP: Es ist konkret!
AK: Es ist konkret.
RP: Die Geschichten in der Theorie sind konkret.
AK: Und dann ist sozusagen äh, das Empfinden zwischen heiß und kalt, ja?, ein Unterscheidungs-vermögen, das haben wir Warmblüter in besonderem Maße mitgekriegt.
RP: Ja, ja
AK: Also haben wir ein bisschen mehr Unterscheidungs-vermögen als die Schlangen. Ja?
RP: Ja ja
AK: Und jetzt, aus dem haben wir was gemacht. Dann haben wir ein bisschen zu viel gemacht mit unserer Großhirnrinde, ne?, ja?, und wenn wir n nahe zusammensitzen, dann kriegen wir Stress. Also müssen die Primaten sich kraulen. Ja?, nich? Damit sie es im Stress aushalten. Und so kommt sozusagen wir mal so ein Grundsturm(?) zu Stande und nicht mal die individuelle Liebe.
RP: Jajaja
AK: Erst das kraulen und dann das gemeinsame Singen da, ja?,
RP: Ja
AK: nich? Und das La äh das Lagerfeuer und alle möglichen anderen stressreduzierenden Maßnahmen,
RP: Ja
AK: weil wir etwas äh überschossen haben, also wir sind bisschen zu klug geworden.
RP: Hjah...
AK: Um es miteinander auszuhalten, also unser Hirn macht einen Zahn zu viel.
RP: Das ist, dass zum Beispiel Städte mal äh so diese dieser Orte war wo man quasi vielleicht um Stress abzubauen das Kraulen äh äh und die Kultur erfunden hat. Äh Man könnte aber jetzt auch
AK: Die Unterhaltung!
RP: H? Die Unterhaltung
AK: Die Unterhaltung.
RP: Ja aber vielleicht sind Städte auch nicht mehr das äh äh, weißt du sie sind das Gegenteil vielleicht
AK: Sind das Gegenteil
RP: Sie sind eine Arena, sie sind ne äh, man schlägt sich in die
Fresse
AK: Sie sind gestapelte Äcker. Und dadurch sind sie sehr anstrengend.
RP: Ja äh ja
AK: Nich?
RP: Gestapelte Äcker?
AK: Ja, brauchen, brauchen aber gewissermaßen dadurch Stressreduktions-mechanismen.
–
RP: Ich denke immer ich stehe vor großen Problemen, die keiner als Problem anerkennt und man muss sie erst mal als Problem äh äh starkmachen, äh hochhalten.
AK: Ja!
RP: Weil Probleme, die die äh, die auftauchen, es gibt m immer, immer so so äh es gibt immer irgend ein Argument mit dem man jedes Problem,
AK: Ja
RP: was äh die ganze Zeit unsichtbar ist und man versucht das so ein bisschen ans Licht zu befördern, von irgend ner, von irgend ner äh äh, das lässt sich so leicht nivellieren, ja?,
AK: Ja
RP: zu sagen, nee das ist eigentlich gar kein Problem, das haben wir ja, es gibt ja die Toleranz, weißt du, so äh, es gibt ja das Wohlwollen, wir müssen vielleicht nur ein bisschen mehr an uns arbeiten, damit kriegt man jedes Problem weg
AK: Ja!
RP: Aber es erst mal obenzuhalten, es wichtig zu machen. Das ist eine, darin seh ich unsere Aufgabe,
AK: Ja
RP: gar nicht in der Problembewältigung, so ja, sondern die überhaupt erst mal ä ä zu zeigen.
AK: Und wenn wir jetzt das Gefühl auflösen in Unterscheidungs-vermögen(?), dann mag das einen Moment lang kalt klingen, ist aber nicht kalt. Ja?
RP: Ja ja
AK: Nich? Und dann würden auch
RP: Ja!
AK: von dem Sentimentalen wegrücken, ja?, nich?
RP: Ja Ja!
AK: Denn das ist so ne so ne Gemüsemischung
RP: Sehr gut! Kann ich mich sehr anschließen.
AK: Ja?
RP: Dass was du äh genau was du äh äh, äh ja, was.. Das was, das soll immer als das; das wird immer erzählt das ist immer kalt. Es ist aber das Gegenteil.
AK: Das Gegenteil
RP: Ä! Das andere ist kalt.
AK: Das ist energisch, das ist entschieden
RP: Ja! Ja! Ja!
AK: Nich? Und Leidenschaft, Gefühle, Unterscheidungs-vermögen, unser Körper ist entschieden!
RP: Jajajajaja
AK: Entweder es kitzelt oder es kratzt.
–
Chor: Das hier IST die Seele!
CG: Ich bin Masse? Ja! Genau, stimmt ja! Ich bin der Pluralismus, Miss Peters (?) ist das Singuläre!
Chor: Ja genau! Sieh dich doch mal an! Wie du aus-siehst in deinem abgewetzten Faschingsfummel, den du dir für 50 cent bei einem Mo(?) ausgeliehen hast. Ich bin dir gleich auf die Schliche gekommen! Mir hast du nichts vorgemacht. Kein ein EINZIGES MAL! Du kommst hier rein, versprühst überall Puder und Parfum, hängst die Glühbirne mit einer Papierlaterne zu,
(Publikum lacht)
und siehe da (?) und du bist die Königin von (?). Sitzt auf diesem Thron und säufst mir den Schnaps weg. Da kann ich nur sagen: HA HA! hörst du mich HAHAHA!
–
Chor: Und Personen (?), an denen die Erfüllung von MORAL gelingen kann
MC: Ich will nichts mehr hören (?)
Chor: Wenn du zu mir sagst, du liebst nicht nur meinen Körper, sondern auch etwas Inneres, was alterslos ist, wie die Seele und das Herz, dann frage ich mich, warum ich diesen Satz nicht als ZUTIEFST unmenschlich empfinde. Er übergeht völlig das, was vor dir steht: DIE SEELE, DAS (?), DIE TOTEN, alle Körper, denen gemeinsam ist, dass sie verletzbar sind. Es geht um eine Auflösung(?) der Körper in ALLE Körper. DAS IST DIE SEELE!
–
MW: Sitz der Seele. Eine Agrarökonomin aus dem Gebiet westlich Stawropols, die ihr Studium an der Humboldt Universität fortsetzte, das Geld für den Unterhalt erwirbt sie in eim in einem Etablissement im Wedding, beharrte darauf, dass Liebe als Arbeitsgegenstand für zivilisierte Menschen ihren Sitz nicht im Inneren der Einzelnen habe, sondern das Netz ist, das zwischen Menschen, die Liebesbeziehungen miteinander austragen, zwangsläufig entsteht. Dieses Netzt ist immer reicher als das, was zwei Menschen, die von sich sagen, wir lieben einander, an Absichten haben. An diesem Lebewesen Liebe, vergleichbar einem Tier, das sich zwischen Liebenden ausspannt, kann einer oder können beide, oder als Kuppler und Freunde Dritte ARBEIT, nämlich stoffverändernde Tätigkeit leisten. Das Gleiche gilt, behauptet Ljuba W., nicht für die nach innen gerichtete einsame Aktivität von Liebenden. Ljuba vergleicht diese eher grüblerische Beschäftigungsart unter der russischen Bezeichnung Liebesarbeit mit der Werkstatt eines Alchimisten. Sie sei vorindustriell, als würden Vorräte an Giften und Heilstoffen gesammelt, aber werde der andere davon trinken, die Gabe überhaupt annehmen? So können 2 Menschen, schreibt Ljuba, ein Leben lang nebeneinander Innerlichkeit produzieren ohne irgendeine Stoffveränderung, Reparatur, Anpassung, Wechsel des Aggregatzustandes ihrer Beziehung zu erreichen. Insofern erhält Einsiedelei in der Liebe keine zivilisatorische Chance, behauptet Ljuba.
–
RP: Also dieses Netzwerk, diese Netze, die hier ja?, was einem so vor einem liegt und dass sie auch mit so bestimmten Schnittpunkten da ä be(?)
AK: Und das ist das Wirkliche, ja?, nich?
MW: Ja
AK: Also so, ich ziehe meine Seele wie einen Bernhardiner Hund hinter mir her, ja?, das wäre sozusagen wahr, ja?, oder sie breitet sich, ja?, gemeinsam mit deiner, ja?, zwischen uns aus.
MW: Genau.
AK: Ist schon ganz schön wie eine Flechte gewachsen!
MW: Ja, die entfaltet sich und äh also wie was was tausendfach gefaltet ist entfaltet sich das ä dann halt ä zwischen denen ä tatsächlich als Netz, äh zwischen den Körpern, DA müsste die eigentlich stattfinden.
–
(Musik >)
Chor: (singt) (?)
SR: Was machen Sie denn da? Nein! Seien Sie nicht so kindisch! Lassen Sie mich RAUS! (?) Ich will nicht! (?)
(< Musik)
–
RP: Immer wenn ich das sehe und wenn ich sie sehe mit dem Chor, denke ich auch, das ist so für mich, das ist, das ist pralles Theater. Es geht uns tatsächlich aber nicht mit dem Chor (?) etwas auszudrücken
AK: Ach so
RP: Deshalb war es mir wichtig zu sagen, das ist hat ganz praktische Gründe, ja?
AK: In Bewegung zu setzen, die Melodie vorzuspielen.
RP: Sophie in Bewegung zu setzen! Ja?
AK: Jawohl.
RP: Also und zwar äh äh, ähm, ja!, m, auch sie in Bewegung zu setzen da, diese Traviata-Szene, äh, ja? Sie setzt sich mit dem Chor in Bewegung, weil es war ihre Idee, es war Tines Idee. Das ist jetzt nicht ein Mastermind, das irgendwie weiter jetzt sich entwickelt, von den Abenden zum Chor. Und äh das Besondere, was wir dann ä äh zum ersten mal gemacht haben in „Ein Chor irrt sich gewaltig“, den Chor jetzt quasi nicht als so n, ähm, das Wesenhafte von ä, ja, der Arbeiter, der Mensch, das Volk oder so zu betrachten,
AK: Nee nee
RP: sondern als Einzelfigur.
AK: Der bewegt sich ja, also bei Traviata meine ich ist er ja richtig das Gewand von der,
RP: Jajajajaja
AK: das Kleid,
RP: Ja ja ja
AK: die zieht ja an der Spitze da, ja?, nich?, mit dem Chor da umher. Also es sind bewegte Chöre.
RP: Ja! Genau, das ist auch ä diese die ä genau, ähm. Uns hat interessiert; er wird auch an dem Abend mit Lucien angesprochen, so n so ein Name, den wir uns aus nem Film, einem französischen Film Ein Chor, ä, „Ein Elefant irrt sich gewaltig“ so entliehen haben. (?) und ich haben den angese(?). Diese ganze Traviatastelle, die Sie auch erwähnt haben so, die hat Sophie äh in die Hand genommen.
AK: Ah! Ja.
RP: Sie hat die Musik da ausgewählt, sie kam überhaupt auf die Idee, sich mit Traviata zu beschäftigen, sich das anzuhören. Und sie hat quasi diese Chorstelle äh äh äh,
AK: Choreografiert
RP: Mit dem (?), ja choreografiert, hergestellt.
AK: Und das ist ja mal ein Mensch, ja?, und mal ist es ein Chor, mal ist es eine Landschaft, mal ist es ein Kleid, ja?
RP: Ja ja
AK: Der Chor ist sehr
RP: Wir stehen aber vor allem tatsächlich,
AK: wandlungsfähig
RP: ja genau, aber wir stehen noch nicht mal so sehr auf die Wandlungsfähigkeit, sondern eher, dass er quasi eine Einzelfigur ist.
–
Chor: Wenn hier und jetzt die unsterblichen Romeo und Julia spielen würde, dann würde ein Zuschauer sagen, SO hätte er Otello noch NIE gesehen. NEIN!
–
(Musik >)
CG: Und hier, mein Hundertwasser! Nein! Er ist viel größer als ein Hundertwasser! Ein Tausendwasser!
(Publikum lacht)
(< Musik)
–
MC: Wir beiden, wie soll das gehen?
(Musik >)
Wie soll ich jemals sprechen vor dir, vor dir du – KÖRPER? (Publikum lacht)
ich bin doch so konkret mit dir, mein Körper und deiner, wir sind einfach da. Das ist es. Ich wusste immer, da sind nur diese zwei. Die pumpen und pumpen das Blut durch ihre Adern, damit man sie nicht WEGholt, einfach WEGkarrt. Dabei wären sie so gerne nicht mehr am Leben, aber die Körper würden dann einfach weggekarrt und wären nicht mehr da, die sogenannten TOTEN Körper. Was wissen die denn, was du mir bedeutest, da SO, sogenannt TOT vor mir. Was wissen die denn. Die wollen uns nur wegholen, uns beide, unsere Körper, weil wir nicht mehr KRATZEN. Und das haben wir doch gemacht, wir haben uns gekratzt! Wir haben uns halb aus dem Fenster gestürzt und wollten nicht mehr!, wollten nicht mehr das Leben, sondern: unsere Körper! Das wollten wir!: unsere Körper!
(< Musik)
–
(Publikum applaudiert)